Liste der sowjetischen Dissidenten
Aus Wiki.sah
Aus der Sowjetunion, wie aus anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang, durfte man nicht freiwillig ausreisen. Vorübergehend, ab dem 7. Juni 1934, stand für einen Fluchtversuch aus dem „sowjetischen Paradies“ sogar die Todesstrafe. Trotz aller Gefahren versuchten viele Menschen, sich in den Westen abzusetzen. Hier ist eine Liste der prominentesten sowjetischen Dissidenten, denen die Flucht gelang.
Name | Lebensdaten | Beruf | Flucht nach | Fluchtjahr | Umstände | Besonderheiten |
---|---|---|---|---|---|---|
Alexander Borissowitsch Godunow | 1949-1995 | Balletttänzer und Schauspieler | USA | 1979 | Blieb als Newoswraschenetz während einer Tournee in den USA und bat dort um politische Zuflucht. Mit auf der Tournee war seine Frau Ludmila Wlassowa mit. Angeblich wollte sie nicht dem Beispiel ihres Ehemannes folgen. Kurz vor dem Abflug stoppten amerikanische Behörden die Maschine und hielten sie drei Tage am Flughafen fest, um sicherzustellen, dass Wlassowa freiwillig in die Sowjetunion zurückkehrte. | |
Alexander Gennadjewitsch Mogilny | 1969 | Eishockeyspieler | USA | 1989 | Setze sich bei der Weltmeisterschaft 1989 nach der Medaillenzeremonie von der sowjetischen Nationalmannschaft ab. | |
Alexander Michailowitsch Sujew | 1961-2001 | Militärpilot | Türkei -> USA | 1989 | Sujew floh mit einer gestohlenen Militärmaschine MiG-29 in die Türkei. Dort bat er um politisches Asyl bei der US-Botschaft. Die MiG wurde von den türkischen Behörden zurück an die Sowjetunion übergeben. | |
Alexandr Leonidowitsch Bykow | 1956 | ? | Ungarn -> Kanada | 1991 | Bykow sprang aus dem Zug in der Nähe der Theiß und schwamm über den Fluss nach Ungarn über. Dort bat er um politisches Asyl und wanderte später nach Kanada aus. | Bykow ist Sohn des sowjetischen Schauspielers Leonid Bykow. |
Anatoli Wassiljewitsch Kusnezow | 1929-1979 | Schriftsteller | Großbritannien | 1969 | Blieb während eines zweiwöchigen Aufenthaltes in London zurück. | Mit seinem Buch Babi Jar: Ein dokumentarischer Roman über die Gräueltaten der deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkriegs in der Ukraine wurde Anatoli Kusnezow weltberühmt. |
Andrei Sergejewitsch Makin | 1957 | Schriftsteller | Frankreich | 1988 | Makin (französische Transkription Andreï Makine) bat in Frankreich um Asyl, als er dort als Austauschlehrer tätig war. In Frankreich gelang es ihm, eine Karriere als Schriftsteller aufzubauen. | |
Besmenow Juri Aleksandrowitsch | 1939-1993 | KGB-Agent | Kanada | 1970 | Besmenow, der in Kanada den Namen Tomas David Schuman annahm, verriet den westlichen Geheimdiensten die Methodik der KGB, wie der sowjetische Gehimdienst die westliche Gesellschaft mit Methoden der Desinformation und Unterwanderung der Werte destabilisiert. | |
Edward Richardowitsch Tschiwzhel | 1944 | Dirigent | USA | 1991 | Bat während eines Tournees in den USA um politisches Asyl. | |
Familie Owetschkin | Musiker | Flucht misslungen | 1988 | Die Großfamilie Owetschkin erlangte in der Sowjetunion Ende der 1980er Jahre einen gewissen Bekanntheitsgrad. Nach einem Auftritt in Japan beschlossen sie, aus der Sowjetunion zu flüchten. Zu diesem Zweck haben sie eine Passagiermaschine Tupolew Tu-154 (Aeroflot-Flug 3739) gekapert und wollten sich in England absetzen. Nach einer Zwischenlandung zum Auftanken, wurde die Maschine gestürmt. Fünf der zehn Familienmitglieder begingen Suizid. Eine Flugbegleiterin sowie drei weitere Passagiere wurden bei der Flugzeugentführung getötet, 19 wurden verletzt. | ||
Georgi Antonowitsch Gamow | 1904-1968 | Physiker | Belgien -> USA | 1933 | Gamow blieb mit seiner Frau während einer Solvay-Konferenz in Brüssel und bat die US-Behörden nach dem politischen Asyl. Alles weltrenommierter Kernphysiker trug Gamow wesentlich zur Urknall-Theorie bei und sagte die kosmische Hintergrundstrahlung voraus. In seiner Heimat wurde er wegen Landesverrats in Abwesenheit zum Tode verurteilt. | |
Igor Wassiljewitsch Iwanow | 1947-2005 | Schachspieler | Kanada -> USA | 1980 | Iwanow flüchtete aus einem Flugzeug während einer Zwischenlandung in Kanada und bat um politische Zuflucht. | |
Iwan Danilowitsch Zhadan | 1902-1995 | Opernsänger | Deutschland -> USA | nach 1941 | Weil sich Zhadan während des Zweiten Weltkrieges in der von den deutschen besetzen Zone aufhielt und deswegen mit Lagerhaft rechnete, flüchtete er mit seiner Familie nach Deutschland. 1948 ging er in die USA. An die Erfolge seiner Sängerkarriere in der UdSSR konnte er im Ausland nicht mehr anknüpfen. | |
Iwan Lukjanowitsch Solonewitsch | 1891-1953 | Schriftsteller, Sportfunktionär und GULAG-Häftling | Finnland -> Deutschland -> Argentinien -> Uruguay | 1934 | Seine eindrucksvolle Flucht beschreibt Iwan Solonewitsch im autobiografischen Buch Die Verlorenen — Eine Chronik namenlosen Leidens. | |
Jonas Pleškys (engl. Plaskus) | 1935-1993 | Marineoffizier | Schweden -> USA | 1961 | Pleškys gelang es, den Navigationskompass zu manipulieren, sodass sein Schiff statt des Heimathafens die schwedische Insel Gotland ansteuerte. Dort bat er um politische Zuflucht. | |
Juri Wassiljewitsch Krotkow | 1917-1981 | Dramaturg | Großbritannien -> USA | 1963 | Newoswraschenetz, blieb während einer Auslandsreise in Großbritannien. | |
Kirill Petrowitsch Kondraschin | 1914-1981 | Dirigent | Niederlande | 1978 | Blieb bei einem Konzert in den Niederlanden zurück. | |
Leonid Wladimirowitsch Wladimirow | 1924-2015 | Schriftsteller und Journalist | Großbritannien | 1966 | Während einer Reise nach Großbritannien bat Wladimirow um politisches Asyl. | |
Lew Ossipowitsch Alburt | 1945 | Schachspieler | USA | 1979 | Bat während eines Schachturniers in der BRD um politisches Asyl. | |
Liliana Leonidowna Gassinskaja | 1960 | Kellnerin auf einem Passagierschiff | Australien | 1979 | Gassinskaja fand Arbeit als Kellnerin auf einem sowjetischen Kreuzschiff. Als sich das Schiff vor der Küste Australiens lag, zwängte sie sich durch das Schiffsbullauge und schwamm, mit einem Bikini bekleidet, vierzig Minuten lang, bis sie am Land ankam. In gebrochenem Englisch wanderte sie sich an Passanten, ihr bei ihrer Flucht zu helfen. Australien gewährte ihr politisches Asyl. Gassinskaja arbeitete später als Model und Schauspielerin. | |
Ljudmila Jewgenjewna Beloussowa | 1935-2017 | Eiskunstläuferin | Schweiz | 1979 | Beloussowa bat zusammen mit ihrem Eiskunstlaufpartner Oleg Protopopow um politisches Asyl. | |
Maxim Dmitrijewitsch Schostakowitsch | 1938 | Dirigent und Pianist | BRD -> USA | 1981 | Maxim Schostakowitsch ist der Sohn des sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch. 1981 blieb er während eines Tournees in Westdeutschland und emigrierte später in die USA. | |
Michail Grigorjewitsch Messerer | 1948 | Balletttänzer | Japan -> USA -> Großbritannien | 1980 | Bat während Tournees in Japan zusammen mit seiner Mutter Sulamif Michailowna Messerer in der amerikanischen Botschaft um politisches Asyl. | |
Michail Sergejewitsch Woslenski | 1920-1997 | Historiker und Politikwissenschaftler | Deutschland | 1972 | Newoswraschenetz, blieb während einer privaten Reise in der BRD. | |
Mikhail Nikolajewitsch Baryschnikow | 1948 | Balletttänzer und Schauspieler | Kanada | 1974 | Blieb während der Tournee in Kanada. | |
Natalja Romanowna Makarowa | 1940 | Balletttänzerin | Großbritannien -> USA | 1970 | Während eines Tournees bat Makarowa in London um politisches Asyl. | |
Oleg Alexejewitsch Protopopow | 1932 | Eiskunstläufer | Schweiz | 1979 | Protopopow bat zusammen mit seiner Eiskunstlaufpartnerin und Frau Ljudmila Beloussowa um politisches Asyl. | |
Pjotr Jegorowitsch Patruschew | 1942-2016 | Dolmetscher | Türkei -> Australien | 1962 | Patruschew, der sich lange für die Flucht vorbereitete, schwamm mit Hilfe von Schwimmflossen von Batumi im heutigen Georgien 35 km weit bis zur Küste Türkeis. | |
Pranas Brazinskas | 1924-2002 | ? | Türkei -> USA | 1970 | Der Litauer Pranas Brazinskas entführte gemeinsam mit seinem damals fünfzehn Jahre alten Sohn eine Antonow An-24. Die Entführer waren mit einer Pistole, einer Shotgun mit gekürztem Lauf und einer Handgranate bewaffnet. Während der Entführung wurde die neunzehnjährige Flugbegleiterin Nadezhda Kurtschenko erschossen, einige Crewmitglieder verletzt. Statt Sochumi in Abchasien sollte die Maschine in die Türkei fliegen. Nach der Landung in Trabzon wurden die Entführer verhaftet und in der Türkei inhaftiert. Nach zwei Jahren wurden sie aus der Haft entlassen. Nachdem ein Asylantrag in die Vereinigten Staaten abgelehnt wurde, fuhren Vater und Sohn zunächst nach Venezuela, von dort aus nach Kanada, um anschließend illegal in New York unterzutauchen. Die Vater-Sohn-Beziehung nahm schließlich eine tragische Wendung, als der Sohn 2002 seinen Vater mit einem schweren Gegenstand erschlug. | |
Rudolf Chametowitsch Nurejew | 1938-1993 | Balletttänzer | Frankreich -> Österreich | 1961 | Nachdem Nurejew plötzlich sein Tournee abbrechen musste, gelang es ihm, sich von seiner Truppe in der Abfertigungshalle am Flughafen abzusetzen. Daraufhin bat er um in Frankreich um politisches Asyl. | |
Sawelij Wiktorowitsch Kramarow | 1934-1995 | Schauspieler | USA | 1981 | Kramarow war in der Sowjetunion bekannter und angesehener Schauspieler. Weil der Onkel von Sawelij Kramarow nach Israel emigrierte, wurden Filmangebote für den beliebten sowjetischen Komiker immer seltener. Seine Bemühungen, dem einzig lebenden Verwandten, den er noch hatte, nach Israel zu folgen, blieben erfolglos. Daraufhin schrieb Kramarow einen Brief an den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, in dem er ihn "von Kollege zu Kollege" bat, ihm zu helfen. Nach dem politischen Druck wurde ihm die Ausreise aus der Sowjetunion genehmigt. | |
Sergei Wiktorowitsch Fjodorow | 1969 | Eishockeyspieler | USA | 1990 | Fjodorow blieb nach den Goodwill Games in Seattle und spielte nach seiner Emigration für das amerikanische Hockeyteam Detroit Red Wings. | |
Sergej Wassiljewitsch Dmitrijewski | 1893-1964 | Diplimat | Schweden | 1930 | Bat im Zuge seiner diplomatischen Tätigkeit in Stockholm um politische Zuflucht. | |
Stanislaw Wassiljewitsch Kurilow | 1936-1998 | Ozeanograf, Schriftsteller | Philippinen -> Kanada -> USA -> Israel | 1974 | Kurilow buchte eine Kreuzfahrt auf dem sowjetischen Schiff Sowetskij Sojuz. Da das Schiff in keinen ausländischen Hafen einlief, brauchten Passagiere keine Genehmigung für eine Ausladsreise. Kurilow war von seiner Kindheit an ausgezeichneter Schwimmer. Er berechnete die Route und sprang nachts vom Schiff 12 Meter tief ins Wasser. Mit Schwimmflossen und Schnorchel steuerte er die philippinische Küste an. Die Strecke sollte laut seiner Berechnung 18 Kilometer betragen. Er wurde jedoch abgetrieben und schwamm drei Tage am Stück. Dabei legte er eine Strecke von etwa 100 Kilometer zurück. In Philippinen angekommen bat er in der kanadischen Botschaft um politisches Asyl. | |
Swetlana Iossifowna Allilujewa (Lana Peters) | 1926-2011 | Übersetzerin, Philologin | USA | 1967 | Swetlana Allilujewa war die einzige Tochter des sowjetischen Regierungschefs Josef Stalin. | |
Vakhtang Jordania | 1942-2005 | Dirigent | Finnland -> Schweden -> USA | 1983 | Flüchtete mit seiner Geliebten, der Geigerin Viktoria Mullowa, während der Tournee in Finnland aus einem Hotel. Sie überquerten illegal die Grenze nach Schweden und baten dort um politisches Asyl. | |
Viktor Kortschnoi | 1931-2016 | Schachspieler | Niederlande -> Schweiz | 1976 | Blieb während eines Schachturniers in Amsterdam. Seine Frau blieb in der Sowjetunion zurück, ihr wurde die Ausreise verwehrt. Sein Sohn wurde von der Universität suspendiert. | |
Viktoria Juriewna Mullowa | 1959 | Geigerin | Finnland -> Schweden -> Großbritannien | 1983 | Mullowa floh zusammen mit ihrem Geliebten, dem Dirigenten Vakhtang Jordania aus einem finnischen Hotel während eines Tournees. Zusammen überquerten sie die Grenze nach Schweden und baten dort um Asyl. | |
Wiktor Andrejewitsch Krawtschenko | 1905-1966 | Handelsdiplomat | USA | 1944 | Als sowjetischer Diplomat bat Krawtschenko um politisches Asyl und blieb in den USA. Für großes Aufsehen sorgte sein Buch Chose Freedom, in dem er das unmenschliche Antlitz der Kommunisten mit Zwangskollektivisierung, künstlich herbeigeführtem Hunger (Holodomor) und dem Lagersystem Gulag beschrieb. Die kommunistische Partei Frankreichs warf Krawtschenko Verleumdung vor, worauf der Dissident geklagt hat. In einem international ausgetragenen Prozess mit mehreren Zeugen, die sowjetische Lager durchgemacht haben, gewann Krawtschenko den Prozess. | |
Wiktor Iwanowitsch Belenko | 1947 | Pilot | Japan -> USA | 1976 | Als Militärpilot flog Belenko von der Militärbasis in der Nähe von Wladiwostok nach Japan und landete auf der Insel Hokkaido am Flughafen Hakodate. In Japan bat er um politisches Asyl in der US-amerikanischen Botschaft. Belenko gilt selbst noch in der Russischen Föderation als Landesverräter. | |
Wladimir Artjomowitsch Passetschnik | 1937-2001 | Mikrobiologe | Frankreich -> Großbritannien | 1989 | In der Sowjetunion war Passetschnik mit der Entwicklung der biologischen Waffen beschäftigt wie etwa des antibiotikaresistenten Bakteriums der Lungenpest. Auf seiner Dienstreise in Frankreich bat Passetschnik die britischen Geheimdienste um politisches Asyl. Im Westen verriet er die illegitime Arbeit der Sowjetunion an der Entwicklung der biologischen Waffen. | |
Wladimir Nikolajewitsch Ipatjew | 1867-1952 | Chemiker | Deutschland -> USA | 1930 | Ipatjew blieb während einer Dienstreise in Deutschland, weil er wegen den beginnenden Säuberungen befürchtete, selbst verhaftet zu werden. Er emigrierte anschließend in die USA, wo er erfolgreich als Chemiker praktizieren konnte. Er war auch Professoren an der Northwestern University in Illinois und Mitglied der National Academy of Sciences. | |
Wladimir Wjatscheslawowitsch Tschernawin | 1887-1949 | Zoologe, Ichtiologe | Finnland -> Großbritannien | 1932 | Tschernawin gelang es, aus einem Arbeitslager des GULAG zusammen mit Frau und Sohn nach Karelien zu fliehen. |