Politische Linke und Antisemitismus
Antisemitismus, also die Feindschaft oder Vorurteile gegenüber Juden, ist ein historisches Phänomen, das in verschiedenen politischen Lagern auftrat, auch in der politischen Linken. Diese Erscheinung mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, da sich die Linke traditionell für Gleichheit, Solidarität und Menschenrechte einsetzt. Dennoch gab es sowohl in sozialistischen als auch in kommunistischen Bewegungen antisemitische Tendenzen. Der folgende Artikel untersucht die Ursprünge und Ausprägungen des Antisemitismus in der politischen Linken und beleuchtet historische Beispiele.
Ursprünge des linken Antisemitismus
Der Antisemitismus in der politischen Linken lässt sich teilweise auf das stereotype Bild des "jüdischen Kapitalisten" zurückführen. In der Frühphase der sozialistischen Bewegung des 19. Jahrhunderts wurde Kapitalismus häufig mit dem Judentum gleichgesetzt, was auf Vorurteile und wirtschaftliche Ressentiments zurückging. Einige Sozialisten sahen in den Juden symbolisch die Verkörperung des Finanzkapitals und der Ausbeutung, obwohl viele Juden selbst in Armut lebten. Diese Wahrnehmung stand im Gegensatz zur Realität, war jedoch tief in populistischen Narrativen verankert.
Ein weiterer Faktor war die Ablehnung der Religion insgesamt, die in sozialistischen und kommunistischen Kreisen verbreitet war. Da das Judentum als eine der ältesten monotheistischen Religionen galt, wurde es als Teil des zu überwindenden „alten Regimes“ betrachtet. Diese Haltung führte dazu, dass auch jüdische Gemeinschaften als rückständig oder reaktionär eingestuft wurden.
Antisemitismus in der Sowjetunion
Der Antisemitismus in der Sowjetunion hat eine lange und komplexe Geschichte. Während der Oktoberrevolution von 1917 waren viele jüdische Intellektuelle aktive Unterstützer der bolschewistischen Bewegung. Doch bereits in den frühen Jahren der Sowjetunion kam es zu antisemitischen Übergriffen. Die sowjetische Propaganda nutzte antijüdische Stereotype, um vermeintliche „Volksfeinde“ und „Bourgeoisie-Agenten“ zu markieren.
Unter Stalin erreichte der Antisemitismus eine neue Dimension. Während des sogenannten "Ärzteprozesses" 1952, einer antisemitischen Kampagne, wurden jüdische Ärzte der Verschwörung gegen die sowjetische Führung beschuldigt. Solche Schauprozesse waren Teil einer breiteren antisemitischen Politik, die auf die angebliche "zionistische Bedrohung" abzielte. Gleichzeitig wurde der Zionismus als imperialistische Ideologie verurteilt, was es der Sowjetunion ermöglichte, ihren Antisemitismus als „antizionistisch“ zu rechtfertigen.
Verhältnis der Linken zur Geschichte des Kommunismus
Das Verhältnis der politischen Linken zur Geschichte des Kommunismus ist vielschichtig. Während einige linke Bewegungen den Kommunismus und seine Errungenschaften verteidigen, distanzieren sich andere klar von den Verbrechen der kommunistischen Regime, insbesondere der Diktatur unter Stalin. In westlichen Ländern entwickelte sich nach 1945 eine differenzierte Linke, die sich kritisch mit dem Stalinismus auseinandersetzte.
Die Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen bleibt jedoch in vielen linken Strömungen ein umstrittenes Thema. Während einige Marxisten den Stalinismus als Verrat an den Prinzipien des Marxismus betrachten, sehen andere darin eine notwendige Phase des historischen Klassenkampfes. Diese Spannungen prägen die Debatten über die Verbindung zwischen Sozialismus, Kommunismus und Menschenrechten bis heute.
Antisemitismus und die Unterstützung der Palästinenser
Ein weiteres Spannungsfeld im Verhältnis der politischen Linken zum Antisemitismus ist die Unterstützung der Palästinenser im Nahostkonflikt. Während viele linke Bewegungen die palästinensische Sache als antikolonialen Befreiungskampf verstehen, führt dies häufig zu einer einseitigen Parteinahme gegen Israel. Kritik an der israelischen Politik kann dabei in antisemitische Stereotype abgleiten.
Nach dem Massaker an israelischen Zivilisten im Oktober 2023 durch palästinensische Extremisten kam es in einigen linken Kreisen zu einer problematischen Verharmlosung oder Rechtfertigung dieser Gewalt. In der Unterstützung der palästinensischen Sache vermischten sich antizionistische Positionen mit antisemitischen Narrativen, etwa der Dämonisierung Israels als "Apartheidstaat" oder der Leugnung des Existenzrechts Israels. Diese Entwicklungen werfen Fragen nach den Grenzen der Solidarität und der Abgrenzung von Antisemitismus auf.