Sowjetunion

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Karte des heutigen Russland

Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (kurz UdSSR oder Sowjetunion, russisch Союз Советских Социалистических Республик (СССР)) war ein multinationaler, kommunistisch regierter Staat, der in den Jahren 1922 bis 1991 bestand. Die UdSSR lag sowohl auf dem europäischen als auch auf dem asiatischen Kontinent und umfasste eine Gesamtfläche von 22,4 Millionen km². Die Sowjetunion bestand aus 15 Republiken, die die Union theoretisch auch verlassen konnten. In Wirklichkeit waren sie der zentralistischen Herrschaft Moskaus unterworfen und hatten nur wenig bis gar keine Entscheidungsgewalt. 1991 zerfiel der Staat im Zuge der intern eingeleiteten Reformen in die heutigen Teilstaaten Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Lettland, Litauen, Moldawien, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine und Weißrussland. Letzter Generalsekretär der UdSSR war Michail Gorbatschow. Die von Gorbatschow eingeleiteten Reformen wie Perestrojka (Umbau) und Glasnost (Offenheit) führten zur Auflösung der Sowjetunion. Offiziell beendete der Staat am 26. Dezember 1991 seine Existenz.

Gründe für den Zusammenbruch der Sowjetunion

Eine Reihe wirtschaftlicher und politischer Gründe führte zum Zerfall der UdSSR. Wladimir Putin bezeichnete diesen Zusammenbruch als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Historiker und Wirtschaftswissenschaftler führen folgende Gründe auf, die zum Zerfall geführt haben:

  • Ressourcenzerrender Krieg in Afghanistan.
  • Fallende Ölpreise.
  • Wirtschaftlicher Untergang, weil ein Großteil der Staatskonzerne für die Rüstungsindustrie arbeiteten.
  • Uneffektive Planwirtschaft mit dem damit verbundenen Warendefizit.
  • Die Tragödie von Tschernobyl.
  • In Moskau konzentrierte Zentralherrschaft. Den Republiken, autonomen Gebieten und Städten fehlte es an Dynamik und Handelnsfreiheit.
  • Aussterben der Ideologiekader. Das Durchschnittsalter der Parteimitglieder des Politbüros lag bei 77 Jahren.

Nachwirkungen

Vergleichbar mit der Nostalgie der Ostdeutschen wegen der ehemaligen DDR, ist Ähnliches im heutigen Russland zu beobachten. Viele Russen, insbesondere jene der älteren Generation, trauern dem Staat nach, in dem sie geboren und ideologisch geprägt aufwuchsen. Sie waren es gewohnt, die Verantwortung für ihr Leben dem für sie sorgenden Staat zu überlassen. Bis heute wird die Schuld für den Zerfall bei Gorbatschow und Jelzin gesucht, wobei die Voraussetzungen für den Zerfall sich Jahrzehnte zuvor ansammelten. Der latente UdSSR-Patriotismus ist besonders bei der Landbevölkerung noch stark vorhanden. Putin greift ihn auf, um seine Machtposition zu festigen, indem er bei seiner zur Zeit der UdSSR geborenen Stammwählerschaft ein Gefühl der Einheit und der einstigen Größe des Landes erzeugt.

Vorteile und Nachteile des Lebens in der Sowjetunion

Abgesehen von der Zeit der Anfängen bis zu den stalinistischen Schrecken war das Leben in der Sowjetunion für viele Bürger erträglich und lebenswert. In kleinen Details unterschied sich das Alltagsleben kaum von dem der westlichen Bürger. Um diese Frage gibt es viele Kontroversen, die Raum für Schwarzweißsicht bietet. Das Reisen ins Ausland war zwar für die meisten begrenzt, dafür konnten Menschen sich im eigenen Land, das geografisch und kulturell eine große Vielfalt bot, beinahe grenzenlos bewegen. Ungeachtet der Planwirtschaft und des Warendefizits konnte man über Verbindungen fast alles erwerben. Jeder, der es wollte und fähig war, konnte sich einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten.

Vorteile

Eine typische Chruschtschowka aus der Sowjetunionzeit in Nowosibirsk
  • Zur Zeit der UdSSR hatte das Land einen enormen wissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt erreicht.
  • Menschen lebten von einer Idee (Ideologie), die für viele Menschen eine Lebensrichtung gab. Die Idee des Kommunismus gab vielen Menschen eine Identitäts­findung.
  • Kostenlose Bildung, eine sehr niedrige Analphabetenrate.
  • Kostenlose Medizin.
  • Es gab keine Arbeitslosigkeit in der Sowjetunion. Jeder Erwachsene konnte nicht nur - er musste arbeiten. Faulenzer wurden sogar vom Gesetz verfolgt.
  • Es gab keine Obdachlosen.
  • Kostenlose Kinderbetreuung wie KiTas und Kindergärten.
  • Sehr günstige, gut organisierte Kinderbetreuung in Ferienlagern. Die sogenannten Pionierlager waren betrieblich organisierte Ferienlager. Die Beschäftigten hatten die Möglichkeit, ihre Kinder für die Dauer von einem Monat in solch einem Ferienlager unterbringen zu lassen. Zu einem eher symbolischen Preis von rund 10 Rubeln. Solche Erholungsorte für Kinder gab es überall im Land.
  • Sehr günstiger öffentlicher Verkehr. Ein Straßenbahnticket kostete in den 1980er Jahren 3 Kopeken, Ticket für Trolleybus 4 Kopeken und ein Busticket 5 Kopeken. Auch im Vergleich zwischen dem Durchschnittseinkommen in der UdSSR und dem Durchschnittseinkommen im heutigen Deutschland waren die Preise des öffentlichen Nahverkehrs sehr günstig.
  • Kostenlose Wohnungen. Bei diesem Punkt scheiden sich die Geister, was kostenlos genau bedeutet. In der Sowjetunion herrschte extreme Wohnungsnot. Bis in die 1960er Jahre hinein lebte ein Großteil der städtischen Bevölkerung in Baracken oder in den sogenannten Kommunalki — Gemeinschaftswohnungen nach dem WG-Prinzip. Erst nach Stalins Tod begann sein Nachfolger Chruschtschow, das Wohnangebot massiv zu erweitern. Es entstanden die ersten Chruschtschowki, meist vierstöckige Häuser in Paneelbauweise. Sie waren schnell zu bauen und boten eine erhebliche Besserung der Wohnqualität. Die Wohnsituation besserte sich allmählich. In der Ära Chruschtschow/Breschnew entstanden in allen Großstädten meist in den Vororten riesige Wohn­blöcke, die man in Russland bis heute "Schlafviertel" (russ. Спальные районы) nennt. Fast jede Familie bekam die Möglichkeit, eine Neubauwohnung zu beziehen. Die Miete war grundsätzlich günstig. Bei einem Durchschnittsverdienst in der Sowjetunion zwischen 120 bis 140 Rubel kostete eine Dreizimmerwohnung zwischen 20 und 25 Rubel Monatsmiete. Manche Wohnungen waren tatsächlich kostenlos. Allerdings musste man sich dafür auf eine Warteliste setzen. Nicht selten musste man 10 bis 20 Jahre warten, ehe man eine kostenfreie Wohnung bekam. Selbstverständlich blieb diese Wohnung Staatseigentum. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Staat nichts verschenkt hat. Kaum einem Bürger der Sowjetunion war damals bewusst, dass ihre erbrachte Leistung nicht im Verhältnis zum Lohn stand. Die Bevölkerung im Land war unterbezahlt. Die sozialistische Planwirtschaft war eine Form von Staatskapitalismus. Der Löwenanteil des BIP ging für die Rüstung und andere sozialistische Großprojekte. Die Arbeiter wurden weit unter Wert bezahlt. Deswegen waren die sogenannten kostenlosen Wohnungen strenggenommen gar nicht kostenlos, wenn man dafür bis zu 20 Jahre einen unterbezahlten Job ausüben musste, wofür man die Wohnung später nur für eine begrenzte Zeit zur Verfügung gestellt bekam.
  • Presse. Es ist nur ein Aspekt der Presse als gut hervorzuheben: Positivität. Natürlich gab es in der UdSSR Zensur und keine Pressefreiheit. Dennoch: Der Tenor der Nachrichten war mit Optimismus, etwas pathetischem Heroismus und Hoffnung durchtränkt. Das hatte eine positive psychologische Wirkung auf Menschen, gab ihnen ein Gefühl der Einheit, bot, zumindest gefühlt, eine Zukunftsperspektive. Außerdem folgte die Presse einer von der Partei vorgegebenen Linie. Es gab keine sich widersprechenden Pressemeldungen, es gab keine Yellow Press, keinen Klatsch und Tratsch. Dieser Aspekt änderte sich schnell während der Perestroika.

Nachteile

  • Kolchose-Bauern hatten bis 1974 keine Pässe, um zu verhindern, dass sie die Kochhosen verließen. Somit unterschied sich ihr Leben von denen der Leibeigenen im 19. Jahrhundert kaum. Auch viele Fabrikarbeiter konnten nicht einfach kündigen und woanders anfangen.
  • Dafür, dass es keine Arbeitslosigkeit gab, musste teilweise ein hoher Preis gezahlt werden. Insbesondere eng spezialisierte Kräfte konnten sich die Arbeit nicht aussuchen, sondern mussten sie dort annehmen, wo man sie hingeschickt hat. Nicht selten konnte es eine andere Stadt sein, die tiefste Provinz, der kalte Ostsibirische Norden oder gar eine "geschlossene Stadt".
  • Der Staat mischte sich ins Privat­leben der Menschen ein. Auf einer der unzähligen Parteisitzungen oder Betriebsversammlungen konnte man beispielsweise dafür gerügt werden, wenn man zu viele Frauen- oder Männerbekanntschaften pflegte. Auch konnte es vorkommen, dass Familienbuch oder Scheidung zum Thema solcher Sitzungen wurde. Menschen wurden in ihrem privaten Raum bloßgestellt.
  • Der Eiserne Vorhang: Es war nicht leicht, eine Urlaubsreise außerhalb von Sowjetunion zu ergattern. Mit großem Glück konnte man so eine Reise in sozialistische Bruderstaaten, meist über gute Verbindungen bekommen. Eine Reise in die Weststaaten außerhalb des eisernen Vorhangs war praktisch unmöglich. Aber auch wenn man nur nach Bulgarien oder in die Tschecho­slowakei fuhr, musste man durch Dutzende bürokratische Instanzen durch, ehe man eine Reiseerlaubnis bekam. Als Lediger hatte man praktisch keine Chance, ins Ausland zu reisen. Bei Verheirateten behielt die Partei ein Pfand aus Ehefrau oder Kindern, die man in der Heimat zurückließ.
  • Geheimnistuerei. Beinahe jede Fabrik hatte mindestens eine Abteilung, die direkt oder indirekt für die Rüstungsindustrie tätig war. Was dort entwickelt oder produziert wurde, wusste niemand, der nicht direkt daran beteiligt war. Alle großwirtschaftlichen Projekte, neue Technologien, militärische Entwicklungen, Atom- und Raumfahrtprogramme unterlagen der höchsten Geheimhaltung. Teilweise waren ganze Städte, genannt "geschlossene Städte", für die Entwicklung von Geheimprojekten konzipiert. Sie waren von der Öffentlichkeit völlig abgeschottet. Die Ein- und Ausreise in solche Städte war nur mit Sondergenehmigung möglich.
  • Keine Wort- und Pressefreiheit. Die Tageszeitung war von der ersten bis zur letzten Seite mit Errungenschaften des Sozialismus, langatmigen Beschlüssen irgendwelcher Parteisitzungen und der Kritik am Westen gefüllt. Natürlich gab es je nach Format eine Rubrik mit Feuilleton, Satire, Neuigkeiten aus der Forschung, Regionalnachrichten, Interviews, literarische Ecke und mehr. Es gab sogar Kritik an eigenen Strukturen, allem voran an der Bürokratie. Dennoch zog sich durch fast jeden Artikel die sozialistische Idee durch. Unfälle und Katastrophen tauchten höchstens auf, wenn sie im Ausland passierten. Morde und Vergewaltigungen waren in der Presse rar. Serienmörder gab es nur im dekadenten Westen.
  • Planwirtschaft und Warendefizit. Die sozialistische Planwirtschaft war sehr starr und unflexibel. Die Menge der benötigten Waren war fernab der Realität zentral kalkuliert. Die Wirtschaft konnte somit nicht dynamisch auf Marktveränderung reagieren. Es entstand Warendefizit in beinahe jedem Bereich. Zudem war das Defizit ungleichmäßig verteilt. Viele Haushaltswaren oder Lebensmittelprodukte, die man in Moskau oder Leningrad noch bekommen konnte, waren in der Provinz gar nicht zu kriegen. Diese Misswirtschaft bot die Grundlage für illegale Spekulanten, die mit überteuerten Waren handelten, sowie für Beschaffung über Beziehungen (russ. Блат). Durch richtige Beziehungsnetzwerke sicherte man sich eine gehobene Existenz. Wenn man richtige Leute kannte, konnte man an gewisse Luxusgüter kommen, die den Durchschnittsbürgern vorenthalten blieben. Während man zu Ära Stalin bis zu 25 Jahre Lagerhaft für eine mitgenommene Kartoffel vom Feld bekommen konnte, nahm in der späteren Sowjetunion der Diebstahl am Arbeitsplatz von Jahr zu Jahr zu. Der Begriff "von der Arbeit mitbringen" (russ. с работы принести) ging nicht nur in den Sprachgebrauch ein, sondern verankerte sich in der Mentalität. Es war völlig normal, etwas von der Arbeit "mitzunehmen", um zumindest teilweise das Warendefizit auszugleichen.
  • Überfüllte Busse und sündhaft teure Autos. Weil es kaum Alternativen zu den öffentlichen Verkehrsmitteln gab, war der öffentliche Verkehr total überfüllt. Vor allem zu Stoßzeiten zwängten sich die Menschen dermaßen in die Busse rein, dass die Türen hinter den zuletzt eingestiegenen Passagieren gerade so schließen konnten. Nicht jeder Sowjetbürger konnte sich ein Auto leisten. Um ein Auto kaufen zu können, musste man sich auf eine Warteliste setzen. Fünf bis zehn Jahre Wartezeit waren das Minimum. Auch nicht jeder konnte sich ein Auto leisten. Im Jahr 1980 kostete ein Wolga rund 9.500 Rubel, ein Lada 7.300 Rubel. Ein überdurchschnittlich verdienender Facharbeiter mit mehrjähriger Berufserfahrung hatte weniger als 200 Rubel im Monat. Ein Auto war ein Prestige- und Luxusobjekt. Das Autofahren selbst wurde als Liebhaberei und als Hobby bezeichnet. Selbst wenn man ein Auto besaß, fuhr man in der Regel mit dem Bus zur Arbeit, während der Wagen in der Garage stand. Die Garage befand sieh nicht selten weit von der Wohnung entfernt. Das Familienauto wurde meist für Ausflüge und die Fahrt zur Datscha benutzt.

Lesestoff zum Thema

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