Meeresechsen auf den Gal�pagos leben ohne Feinde - zumindest war das bis vor etwa 150 Jahren so. Seitdem m�ssen sie sich auf einigen Inseln des Archipels mit Hunden und Katzen auseinandersetzen. F�r Wissenschaftler stellen sie deshalb ein geeignetes Untersuchungsobjekt dar, um herauszufinden, ob die in der Regel wenig scheuen Tiere in der Lage sind, ihr Verhalten und die endokrine Stressantwort auf einen solchen neu auftretenden Feind einzustellen. Die Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut f�r Ornithologie, der Universit�t Ulm, der Tufts University und der Princeton University konnten zeigen, dass die durch das Hormon Kortikosteron vermittelte Stressantwort bei vollkommen unerfahrenen Tieren fehlt, aber bei entsprechender Erfahrung schnell wieder hergestellt wird. Dagegen nimmt die Fluchtdistanz nicht in hinreichendem Ma�e zu und begrenzt, wie die Forscher in den Proceedings of the Royal Society of London feststellen, die F�higkeiten der Meeresechsen mit neu eingef�hrten Beutegreifern fertig zu werden.
 | Abb.: Eine Gruppe von Meeresechsen auf den Gal�pagos. Bild: Silke Berger, Universit�t Ulm | Wer w�hnt sich nicht reif f�r die Insel - das Inselleben hat offenbar so manchen Vorzug. Auch f�r die Meeresechsen auf den Gal�pagos. �ber Jahrmillionen waren sie hier keiner Bejagung durch nat�rliche Beutegreifer ausgesetzt. Im Laufe der Evolution haben sie daher jede Scheu verloren. Hunderte von Reptilien d�sen auf dem dunklen Lavagestein und strecken dabei bedenkenlos alle Viere von sich - unm�glich dieses Verhalten in einer Umwelt, in der Reptilien st�ndig der Gefahr ausgesetzt sind, von anderen gefressen zu werden.
Das Fehlen von Beutegreifern f�hrt bei Inselbewohnern zu entsprechenden Anpassungen. So k�nnen V�gel beispielsweise �ber einen l�ngeren evolution�ren Zeitraum ihre F�higkeit zu fliegen verlieren. Tr�ten neue Beutegreifer auf, so w�ren ihre Fluchtm�glichkeiten stark eingeschr�nkt. Im Gegensatz zu solchen "fest verdrahteten" Eigenschaften, sollte das Verhalten jedoch deutlich flexibler sein. Im Rahmen von Auswilderungsprogrammen werden Tiere darauf trainiert, Beutegreifer zu erkennen und mit ihnen fertig zu werden. Tats�chlich ist es jedoch in den meisten F�llen sehr schwierig, die Anpassungsf�higkeit im Verhalten vorherzusagen, denn �ber die zugrunde liegenden physiologischen Mechanismen, die Verhaltensweisen wie Flucht kontrollieren, ist bisher kaum etwas bekannt.
Die Wissenschaftler um Thomas R�dl vom Max-Planck-Institut f�r Ornithologie haben sich von Dezember 2003 bis Januar 2004 sowie im M�rz 2005 zu Forschungsaufenthalten auf die Gal�pagos-Inseln begeben, wo sie die Forschungsplattform der Max-Planck-Gesellschaft nutzten. Nach wie vor sind die Inseln im Pazifischen Ozean ein El Dorado f�r Evolutionsbiologen. Nirgendwo sonst lassen sich bei einer vergleichsweise geringen Zahl an Arten derart viele verschiedene Anpassungsstrategien beobachten. Allerdings zieht es nicht nur Wissenschaftler dorthin, auch immer mehr Touristen besuchen jedes Jahr dieses einzigartige Archipel: 2005 waren es rund 126.000. Tendenz weiter steigend. Das Problem: die vielen Menschen st�ren nicht nur manche auf den Gal�pagos lebende Tierarten, sie schleppen auch andere Tier- und Pflanzenarten ein, die in der lokalen Flora und Fauna gro�en Schaden anrichten.
R�dl und seine Kollegen Silke Berger sowie Michael Romero und Martin Wikelski wollten herausfinden, inwieweit sich Meeresechsen aus unterschiedlichen Populationen und mit unterschiedlichen Erfahrungen mit Beutegreifern in ihrer Stressantwort und in ihrem Verhalten unterscheiden. Sie f�hrten dazu sogenannte Harassment-Experimente durch: Dazu wird von einem Tier die urspr�ngliche, "naive" Fluchtdistanz gemessen und dieses dann 15 Minuten lang von einer Person verfolgt - immer bis zu dem Punkt, an dem die Meeresechse wieder ausweicht und eine kurze Strecke flieht. Am Ende des Experiments wird das Tier eingefangen und eine Blutprobe zur Bestimmung der Kortikosteron-Konzentration entnommen. Wenn die Tiere die Situation als bedrohlich, also stressvoll empfinden, dann steigt die Konzentration des Hormons Kortikosteron im Blutplasma innerhalb weniger Minuten an.
Zwischen den verschiedenen Inselpopulationen, die die Forscher untersuchten, gab es signifikante Unterschiede: Meeresechsen, die keinen Feinddruck kennen, lie�en eine Ann�herung bis auf ein, zwei Meter zu und zeigten auch bei anhaltender Verfolgung keinen Anstieg in der Stressantwort. Schon Darwin hatte diese erstaunliche "Zahmheit" der Tiere, die im Englischen als low wariness bezeichnet wird, auf seiner Fahrt mit der Beagle 1835 beschrieben. Bei Meeresechsen, die Beutegreifer zwar kennen, aber einem geringerem Risiko ausgesetzt sind, f�hrte erst das Einfangen zu einem Anstieg in der Kortikosteroid-Konzentration, und die Fluchtdistanz nahm nur bei jenen Tieren zu, die bereits einmal gefangen worden waren. Dagegen reagierten Meeresechsen, die mit akutem Feinddruck leben, auf ein Harrasment-Experiment sofort mit einem Anstieg in der Kortikosteroid-Konzentration.
"Unsere Fangversuche zeigen, dass die Tiere ihre Fluchtdistanz steigern und die Kortikosteroid-Antwort aktivieren k�nnen", erkl�rt Thomas R�dl. Die Funktion der Stressachse ist also offenbar auch �ber lange evolution�re Perioden ohne den Druck von Beutegreifern erhalten geblieben und kann ihre Aktivit�t sofort zur�ckgewinnen, wenn diese wieder auftauchen. "Aber die �nderung in der Fluchtdistanz ist zu klein und reicht nicht aus", sagt R�dl. "Wir konnten dieselben Tiere in vier Wochen bis zu sechsmal wieder einfangen." Und so wundert es nicht, dass die eingef�hrten Hunde und Katzen auf einigen Inseln die Population der Meeresechsen drastisch reduziert haben - auf San Cristobal wurde die lokale Population sogar nahezu ausgel�scht. Hier finden die Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung auch immer wieder Tiere, die Bisswunden von Hunden davon getragen haben. Selbst wenn diese nicht t�dlich sind, so f�hren sie doch oftmals zu sekund�ren Infektionen, an denen die Tiere schlie�lich sterben.
Meeresechsen k�nnen also offenbar zwar lernen, was ein Beutegreifer ist, sind aber nicht in der Lage, ihre Fluchtdistanz effizient zu steigern. Das hei�t, die F�higkeit sich auf neue Beutegreifer einzustellen, wird nicht durch das physiologische System begrenzt, sondern durch die Einschr�nkungen im Verhalten. "Eine lang anhaltende Flucht kostet das Tier Kraft. Im Zuge der Evolution bei Fehlen jeglicher Beutegreifer hat die Selektion m�glicherweise dazu gef�hrt, dass vor allem Tiere, die auf eine solche kostenintensive Flucht verzichtet haben, einen Fitnessvorteil hatten", spekuliert R�dl. Die Ergebnisse der Forscher liefern zum ersten Mal Hinweise, warum zahme Tiere auf zahlreichen Kontinenten ausgestorben sind, sie geben aber auch den Natursch�tzern weitere Argumente an die Hand.
Denn inzwischen hat die ecuadorianische Regierung den Kreuzfahrtmarkt f�r das UNESCO-Weltkulturerbe Gal�pagos freigegeben. Mit dem aufkommenden Massentourismus wird die Situation zunehmend schwieriger. Das Nationalpark-Management denkt �ber eine Anhebung der Landungsgeb�hr von derzeit 100 Dollar auf 500 Dollar nach, um die Zahl der Besucher zu senken - vermutlich die einzige Chance, um einen nachhaltigen Tourismus zu schaffen und damit verbunden den notwendigen Schutz der einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt auf den Gal�pagos.
Quelle: Pressemitteilung Max-Planck-Gesellschaft
Originalver�ffentlichung: |
Thomas R�dl, Silke Berger, L. Michael Romero and Martin Wikelski Tameness and stress physiology in a predator-naive island species confronted with novel predation threat Proceedings of the Royal Society B, FirstCite Early Online Publishing December 2006 |
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